Vor 30 Jahren startete die Jugendhilfe Creglingen ihre „Mobile Jugendbetreuung“ in der Kurstadt. Bis heute ist sie der Hermann-Mittnacht-Straße treu geblieben. Sie hat sich als Ort für Jugendliche, die Ansprechpartner suchen und finden, etabliert.
Bad Mergentheim. „Es war dunkel und antiquiert in Frauental. Dennoch haben wir uns dort wohl gefühlt.“ Joachim Matthey, langjähriger Geschäftsführer der Jugendhilfe Creglingen, erinnert sich gern an die Zeit, als man sich aufmachte, um in der Fläche Angebote zu etablieren. Frauental liegt nicht gerade am Nabel der Welt und für Kinder und Jugendliche war der Weg dorthin oft weit. Außerdem trat 1991 das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in Kraft, das Angebote im ambulanten Bereich ermöglichte. Wer sich der Jugendhilfe verschrieben hatte, dem erschloss sich ein ganz neues Feld.
„Eine Idee war, mobile Jugendarbeit mit einem Campingwagen zu organisieren“, erinnert sich Matthey. Letztlich sollte es aber doch ein festes Gebäude werden. Gemeinsam mit dem Jugendamt hatte man festgestellt, dass Jugendliche aus einer stationären Unterbringung eine Übergangszeit benötigen, bis sie komplett allein klarkommen. Um sie in die Selbstständigkeit zu begleiten, wurde im Obergeschoss des Hauses in der Hermann-Mittnacht-Straße ein betreutes Jugendwohnen eingerichtet, im Dachgeschoss die mobile Jugendbetreuung aufgebaut.
Pragmatiker im Jugendamt
„Dabei hat auch das Jugendamt geholfen“, erinnert dessen heutiger Leiter Martin Frankenstein an den damaligen Pragmatiker, den Sozialdezernenten Paul Grimm. Bereits im Jugendwohlfahrtgesetz, dem Vorgänger des KJHG, war nämlich bereits von Hilfen bei einem konkreten Einzelfallbedarf die Rede, ohne diese näher zu benennen.
Vielschichtige Hilfen
Heute seien die Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien vielschichtig und meist individuell zugeschnitten, erläutert der Jugendamtsleiter. Frankenstein betonte auch die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips: „Wenn freie Träger ein Angebot haben, greifen wir darauf zurück.“
Der Aufbau der Tagesgruppe in der Kurstadt nahm sich mit acht Plätzen zunächst bescheiden aus. Das sollte sich allerdings schnell ändern. Um die Jahrtausendwende herum kamen teilweise 16 Kinder, so dass eine weitere Tagesgruppe in Lauda entstand. „Es ist sehr viel passiert, der Bedarf an ambulanten Hilfen ist stark gestiegen, ein Qualitätsmanagement Heilbronn-Franken entstanden“, so Martin Frankenstein.
Das können Werner Pfeiffer, bis 2019 Bereichsleiter Mobile Jugendbetreuung bei der Jugendhilfe Creglingen, und Sabine Matthey, jahrelang in Bad Mergentheim tätig, nur bestätigen. Pfeiffer spricht von einer hohen Differenzierung der Angebote zwischen 2008 und 2019. Ein Arbeitskreis Schule/Jugendhilfe sei gegründet, die Schulsozialarbeit eingeführt worden. Die Wirkung der eigenen Arbeit werde stetig evaluiert, eine enge Anbindung ans Team gewährleistet. Es wurde auch möglich, im Tandem zu arbeiten, um sich gegenseitig Rückmeldung zu geben.
Der jetzige Bereichsleiter Michael Ebert betont, dass es wichtig sei, Mitarbeitende zu begleiten und nicht einfach ins kalte Wasser zu werfen. Wie hoch die Belastung bei der Arbeit ist, zeigt, dass heute kein Sozialpädagoge oder -arbeiter mehr zu 100 Prozent in den ambulanten Hilfen eingesetzt wird.
Sabine Matthey hat mit einer halben Stelle begonnen und fast 13 Jahre in der Tagesgruppe gearbeitet, um dann in die soziale Gruppenarbeit zu wechseln. „Das Klientel hat sich komplett geändert“, sagt sie und beschreibt das so: „Viele Kinder und Jugendliche sind finanziell überversorgt, sozial aber unterversorgt.“
Zuhören sei oft das Beste, was man machen könne, weil zu Hause niemand da ist oder die Zeit hat, um ein offenes Ohr für die wirklichen Belange der Kinder und Jugendlichen habe.
Das bestätigt auch Werner Fritz, Geschäftsführer der Jugendhilfe Creglingen: „Die Herausforderung, sich auf Menschen einzulassen, ist über die Jahre gleichgeblieben.“ Dazu gehöre auch, den jungen Klienten einen sicheren Raum und Orientierung zu bieten. Fritz sieht ein Auseinanderdriften der Gesellschaft und das Entstehen neuer Milieus, was durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie noch befördert worden sei.
Entlastung für Lehrer
Zur Mobilen Jugendbetreuung gehört auch die Schulsozialarbeit. Heiko Knebel, Leiter der Kopernikus-Realschule, ist froh, dass es diese niederschwellige Andockstelle gibt. „Früher war jede Schule eine Insel für sich. Durch das bestehende Netzwerk der Schulsozialarbeiter nutzen wir dessen Beratungsangebot gern, wenn es Probleme vor Ort gibt“, meint er. Außerdem werde das Kollegium entlastet, weil sich die die Beratung von den Lehrerinnen und Lehrern zu den Schulsozialarbeitern verlagert habe. Knebel: „Schulsozialarbeiter sind Personen, die die Kinder schätzen.“
Im Main-Tauber-Kreis gibt es etwas mehr als 30 Vollzeitdeputate für die Schulsozialarbeit. Mehr als 50 Fachkräfte werden hier gemäß der mit allen drei Trägern geschlossenen Kooperationsvereinbarung einheitlich finanziert. Waren sie in der Anfangszeit in erster Linie in Haupt- und Realschulen eingesetzt, arbeiten sie mittlerweile an allen Schularten.
Was allen aber Sorgen bereitet, ist der Fachkräftemangel im sozialen Bereich. „Der Markt an pädagogischen Fachkräften ist abgegrast“, weiß der Jugendamtsleiter. Frankenstein kennt die Herausforderungen, die auf ihn, seine Mitarbeiter und auf die Träger zukommen. Ab dem 1. Januar 2028 nämlich wird die Jugendhilfe inklusiv, so dass die individuelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung verpflichtend wird. Wie viele junge Menschen da auf die im sozialen Bereich Tätigen zukommen und welche Hilfen dann vonnöten sind, weiß aber derzeit noch niemand.
Text: Heike von Brandenstein, erschienen in den Fränkischen Nachrichten, 05. Dezember 2023